Im Herbst 2008 erhält Robert Böhme eine E-Mail, die ihn zum Weltraumunternehmer macht. Ein Freund schickt dem Berliner Informatiker eine Ausschreibung von Google. Der amerikanische Technologiekonzern spendiert 30 Millionen Dollar für ein Team, das als Erstes eine Sonde auf dem Mond landen lässt und ein ferngesteuertes Fahrzeug auf Erkundung schickt.
Böhme versammelt ein paar Freunde in seinem Garten, facht den Grill an, stellt ein Whiteboard auf. Bei Putensteaks und Cola grübeln die Nerds, wie sie ihre Mondmission meistern. „Wir hatten keine Ahnung, wie das klappen könnte“, erinnert sich der 31-Jährige, „aber wir wollten es probieren.“
Im April 2017 steht Böhme in Berlin-Marzahn, Allee der Kosmonauten, in einer Werkhalle neben einer mannshohen Mondlandefähre. Sein Raumschiff wirkt reif und ausgetüftelt, wie ein Prototyp der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, mit metallenen Tanks, Raketendüsen und goldenen Reflektorfolien. 2018 soll Böhmes Weltraum-Cruiser vom Stapel laufen und zur Jungfernfahrt aufbrechen, an Bord zwei Rover und 20 wissenschaftliche Experimente. Es wird, hofft Böhme, die erste Mondmission von vielen.
380.000 Kilometer vor dem Ziel
Wie ein riesiges Insekt steht Alina, die Mondlandefähre, in der Werkhalle von PT Scientists. Zwei Rover will Gründer Robert Böhme (rechts) zur Landestelle von Apollo 17 steuern. Karsten Becker (links) verantwortet die Elektronik, Personalchef Sven Wehlan (Mitte) heuert Talente an
Plötzlich bewegt er die Menschen wieder, der Griff nach den Sternen, der Traum vom Aufbruch ins Weltall. 60 Jahre nach dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten durch die Sowjets, nach dem „Sputnik-Schock“, der in den USA eine beispiellose Weltraum-Eroberungslust auslöste, ist der Entdeckergeist zurück. Vergessen sind die Diskussionen über den Unsinn und die Unkosten der Raumfahrt, verdrängt die vielen Rückschläge und Katastrophen: Seit im Silicon Valley immer neue astrale Geschäftsideen auftauchen, formiert sich eine New-Frontier-Bewegung, die von der Kommerzialisierung des Kosmos kündet: „Die Weltraumwirtschaft ist im Umbruch“, sagt Noah Poponak, Analyst bei der Investmentbank Goldman Sachs: „Wir erwarten, dass hier in den nächsten zwei Jahrzehnten ein Billionen-Dollar-Markt entsteht.“
Die alte Welt der Raumfahrt war vom Wettbewerb der Systeme geprägt, von der Frontstellung zwischen den USA und der Sowjetunion. Staatliche Agenturen bestimmten den Kurs, auch nach dem Ende des Kalten Krieges. Ihre Ingenieure reizten die Technik bis an die Grenzen des Möglichen aus. Sie betrieben Raumfahrt oft genug als Selbstzweck, entwarfen teure, hochkomplexe Missionen. Das brachte zwar der Wissenschaft bahnbrechende Erkenntnisse und den Menschen bis zum Mond. Nur geblieben ist er dort nicht.
Billigflieger ins All
Welche neue Raketen vor dem Start stehen
Nun gibt es einen zweiten Apollo-Moment, angetrieben von Privatkapital und Wettbewerb, von visionären Unternehmern, die sich einer „NewSpace-Bewegung“ zugehörig fühlen. Auch sie wollen zum Mond und zum Mars fliegen – aber schon auf dem Weg dorthin Gewinne generieren: mit Satellitenbildern, die Bauern helfen, Wasser zu sparen; mit Touristenflügen in die Schwerelosigkeit; mit Fabriken im Orbit. Die Erde ist industrialisiert – nun wird der extraterrestrische Raum erschlossen: viel Platz für kühne Forscherfantasien und grenzenlose Geldträume.
Und mittendrin die deutsche Industrie. Ein Konzern wie Airbus Defense and Space (DS) in Taufkirchen bei München etwa, der den Antrieb für das neue Nasa-Raumschiff Orion fertigt. Mittelständler wie MT Aerospace in Augsburg, der Metallteile für die Raketen von Esa und Nasa herstellt; Scisys in Bochum, der Software zur Steuerung von Raummissionen anbietet; Jenaoptronik in Jena, mit dessen Sensoren der Raumfrachter Cygnus vergangene Woche automatisch an die Raumstation ISS andockte. Oder ein Start-up wie Berlin Space Technologies, das Satelliten für die Erforschung der Erde fertigt. Rund 2,9 Milliarden Euro schlug die deutsche Raumfahrtbranche 2016 um, so der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie – ein sattes Plus von 17,3 Prozent zum Vorjahr.
Auch aus dem Berliner Mondfahrerteam um Robert Böhme ist längst ein Raumfahrt-Start-up geworden, das in der Szene für Aufsehen sorgt: Die PT Scientists haben ehemalige Apollo-Astronauten im Beraterstab, ein Netzwerk aus erstklassigen Zulieferern gesponnen und zählen sogar die Nasa zu ihren Kunden. „Wir wollen beweisen, dass eine Weltraummission kommerziell tragfähig sein kann“, sagt Böhme.
Weit vorneweg auf dem Weg in den Wirtschaftspark Weltraum aber schreiten US-Unternehmer mit gewaltigen Vermögen und Visionen: Elon Musk, Chef des Autobauers Tesla und Gründer des US-Start-ups SpaceX, beliefert die Raumstation ISS und feuert im Zwei-Wochen-Takt Raketen ab. Amazon-Gründer Jeff Bezos will jährlich eine Milliarde Dollar in eine Riesenrakete stecken, die den Mond als Touristenziel erschließen soll. Auch Microsoft-Gründer Paul Allen und Milliardär Richard Branson bauen Raumschiffe und Raketen.
Ohne staatliche Geldspritzen wären SpaceX und Co. freilich nie groß geworden. Seit 2006 hat die Nasa Aufträge von mehr als 16 Milliarden Dollar an Start-ups und Konzerne vergeben, um mehr Wettbewerb, mehr Tempo, mehr Risiko und mehr Ideen zu produzieren. Auch die Europäische Weltraumorganisation Esa treibt das Geschäft, etwa mit ihrem Navigationssystem Galileo und dem Datenschatz aus dem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus.
Darüber hinaus bereiten die Raumfahrtagenturen Megamissionen vor, für die sie private Zulieferer benötigen: Die Nasa, deren Budget von 19,5 Milliarden Dollar alle anderen staatlichen Programme und privaten Investitionen weltweit übertrifft, will 2019 Menschen um den Mond fliegen. Die Esa möchte auf dem Trabanten ein Dorf errichten, am Raumfahrtzentrum in Köln entsteht bereits ein Testgelände. Und China baut an einer eigenen Raumstation, die vergangene Woche erstmals mit einem eigenen Cargo-Schiff beliefert wurde. Das Monopoly um die Milchstraße hat begonnen. Wer spielt mit – und wer liegt vorn?
1. Ein Booster am Ballon
Im Golf von Cádiz, vor der spanischen Küste, spielt sich Anfang März ein bizarres Schauspiel ab: Von einem Boot aus hebt ein schlanker Ballon ab, mehr als 60 Meter groß, an dem eine runde Raketenkapsel baumelt, klein wie ein Kühlschrank. Bis auf 25 Kilometer Höhe steigt das Gespann. Dann klinkt sich die Rakete aus und schießt, wie von einem göttlichen Finger angeschnippt, davon. Bloostar, der Raumtransporter, hat seinen Jungfernflug absolviert.
Einen Monat später liegt der Riesenballon zusammengeknüllt in einem Abfallcontainer in einer Werkhalle des Raumfahrt-Start-ups Zero 2 Infinity. Im ersten Stock, einer Büroetage mit Glaswänden, die mit Formeln und Zeichnungen vollgekritzelt sind, plant Gründer José Mariano López-Urdiales die Demokratisierung der Raumfahrt: „Wir wollen den Zugang zum All erleichtern“, sagt er, „damit andere dort ihre Träume verwirklichen können.“
Bisher müssen Betreiber von neuen, kleinen Satelliten mitunter lange auf eine Mitfahrgelegenheit bei terminierten Raketenflügen warten – per Anhalter in die Galaxis. Zero 2 Infinity will Starts ab 2019 flexibler machen. Und billiger: Der Ballon ersetzt die erste Raketenstufe, spart Treibstoffpumpen und einen Weltraumbahnhof.
Tausende Satelliten warten in den nächsten Jahren auf einen Trip in den Orbit, und der Wettbewerb ist groß: Zwei Dutzend Start-ups wollen Billigflüge anbieten. Rocket Lab in den USA setzt für seine Kleinrakete auf Düsen aus 3-D-Druckern. Ripple Aerospace aus Norwegen will Raketen aus dem Meer zünden. Richard Bransons Start-up Virgin Galactic jagt Raketen von einem Passagierjet aus hinauf. „Wir wollen so zuverlässig ins All fliegen“, sagt CEO George Whitesides, „wie Fluglinien um die Welt.“
Für Reisen in höher liegende Orbits aber, wo Nachrichtensatelliten kreisen, sind die meisten Newcomer zu klein. Das ist die Liga, in der SpaceX-Gründer Musk und Amazon-Chef Bezos für Wirbel sorgen. Musk hat den Fordismus in die Raketenfertigung eingeführt, den Bau wie am Fließband also, und das Recycling: Im März schoss er eine gebrauchte Raketenstufe erneut ins All.
Das weckt die Konkurrenz auf, auch in Bremen, wo das Unternehmen Airbus Safran Launchers die Oberstufe für die Ariane-Rakete der Esa fertigt. „Der Wettbewerb“, sagt Produktionschef Stefan Hässler, „hat die ganze Branche aufgerüttelt.“ Seine Ingenieure tüfteln nicht nur an Innovationen, sondern auch an Sparmaßnahmen: Die nächste Generation, Ariane 6, soll halb so teuer werden.
Von Hässlers Büros aus erlauben Fenster den Blick in die Fertigungshalle, sie ist fast leer. Aber das Team konzipiert auf einer Art Spielbrett und in Computersimulationen schon, wo Maschinen und Reinräume stehen sollen. „Wir setzen auf schlankere Prozesse“, sagt Hässler, „ähnlich wie beim Flugzeugbau.“ Große Metallteile fertigt nur noch ein einziger Zulieferer. Neue Schweißverfahren beschleunigen die Produktion. Isoliermasse wird gesprüht statt geklebt.
Der Zugang zum All wird durch das Raketenrennen rasend schnell billiger. Berechnen viele Anbieter heute 9000 Dollar pro Kilogramm Satellitenfracht, könnte SpaceX bald nur noch 2000 Dollar fordern, erwartet Richard Rocket, Chef des Raumfahrt-Marktforschers NewSpace Global. „Das wird eine Welle neuer Kunden anziehen.“
2. Der Schwarm
Die Welt als Kunstwerk
Farbenfroh wie ein abstraktes Gemälde erscheint die Insel Sardinien aus Sicht des europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel 2. Dessen Intrumente erkennen, wie viel Chlorophyll Pflanzen am Boden produzieren – je stärker das Rot im Foto, desto aktiver und gesünder die Vegetation.
Fragt man Greg Wyler, warum er das Weltall erobern will, erzählt er von einer Reise nach Mexiko vor ein paar Monaten. „Wir fuhren stundenlang in Jeeps über unbefestigte Straßen“, erinnert sich der Gründer des Satelliten-Start-ups OneWeb. Dann besuchte er eine Schule, mit Internetanschluss, immerhin, „aber es dauerte Minuten, eine Seite zu laden“.
Vier Milliarden Menschen leben immer noch offline. Wyler will das ändern. 1,7 Milliarden Dollar hat er eingesammelt – für den Bau der bisher gewaltigsten Infrastruktur im Orbit. Wyler will eine Flotte von 900 Satelliten ausschwärmen lassen, um die Erde mit Internet in DSL-Tempo zu versorgen. „Wenn Sie die Arme in den Luft heben“, sagt Wyler, „werden Sie auf einen unserer Satelliten zeigen.“
Um die Daten aus dem All zu empfangen, benötigen die Nutzer eine Antenne von der Größe eines Medizinballs. Im Jahr 2022 könnte jede Schule auf der Welt, die nicht per Kabel vernetzt ist, so einen Empfänger auf dem Dach haben, hofft Wyler. Sein wichtigster Partner: Airbus DS, Deutschlands größter Raumfahrtkonzern.
Gemeinsam wollen die Raumfahrtspezialisten die Satellitenfertigung revolutionieren. Eine Fabrik in Florida soll 15 Stück pro Woche ausliefern – so viele, wie andere im Jahr herstellen. „Wir untersuchen jede Komponente“, sagt Wyler, „um die Produktion zu automatisieren.“ Kostet ein Nachrichtensatellit heute gut 100 Millionen Dollar, dürften es bei OneWeb nur noch 500.000 sein.
Noch sei nicht klar, ob OneWeb profitabel sein wird und sich gegen irdische Mobilfunknetze durchsetzt, sagt Blaine Curcio, Analyst beim Satelliten-Marktforscher Northern Sky Research. Trotzdem ist die etablierte Satellitenbranche, deren Flotten bald technisch überholt sein könnten, alarmiert. Aktuell sausen gut 1400 aktive Satelliten um die Erde. Bis 2025, schätzen die Marktforscher von Euroconsult, kommen 9000 hinzu. Der Betreiber Intelsat buhlt daher um die Fusion mit OneWeb. Der Rivale SES hat gerade O3b, Wylers erstes Start-up, übernommen.
Es geht um die Vernetzung des Planeten – und darum, wer der Schnellste ist. SpaceX plant eine eigene Flotte mit 4425 Satelliten. Das Start-up LeoSat will „das schnellste Netzwerk der Welt anbieten“, sagt Chef Cliff Anders, um Finanzplätze weltweit zu verbinden: Im Börsenhandel entscheiden Millisekunden über Millionen. Das Start-up Cloud Constellation wiederum visiert schwebende Datenzentren an, Cloud Computing über den Wolken, dem Zugriff von Datendieben physisch entzogen.
Den Planeten im Blick
Satelliten wie die des Start-ups Spire aus Glasgow (Bild 3) scannen den Planeten genauer denn je. Verbunden mit künstlicher Intelligenz, kartieren sie Baufortschritte in Städten wie Dubai (Bild 1) oder die Wasserqualität in Meeresbuchten wie dem Saint George Basin an der Westküste Australiens (Bild 2).
Auch deutsche Gründer mischen mit: Das Start-up Kaskilo aus Grünwald bei München konzipiert eine Konstellation von 300 Satelliten für die Industrie. „Wir bauen das Internet der Dinge via Weltall auf“, sagt Gründer Matthias Spott. Techniker auf Containerschiffen würden künftig aus dem All Reparaturanweisungen auf ihre Augmented-Reality-Brillen erhalten. Autohersteller könnten Software-Updates im Nu auf Millionen Fahrzeuge weltweit spielen. Im Jahr 2020, schätzen Experten von MarketsandMarkets, ist die Maschinenvernetzung via Weltall ein sechs Milliarden Dollar schweres Geschäft.
Martin Aebi, Geschäftsführer des Schweizer Start-ups SpacePharma, denkt in eine andere Richtung. „Wir bauen ein Labor in der Schwerelosigkeit“, sagt er. Einen Satelliten also, groß wie ein Schuhkarton, in dem Mikroskope, Spektrometer und anderes Gerät untergebracht sind. Ferngesteuert erkunden Forscher Proteine, Metalle oder Viren unbeschwert von der Erdanziehungskraft, um neue Legierungen, Arzneien oder Therapien zu entwickeln.
Schwebende Teleskope, feinfühligere Wettersatelliten, Waldbrand-Detektoren – die Ideen kennen keine Grenzen: Das Satelliten-Start-up Ale aus Japan will sogar Hunderte künstliche Sternschnuppen auf Bestellung in den Himmel zaubern. Den Herstellern von Raketen und Satelliten, darunter OHB und Airbus DS in Bremen, winken laut Euroconsult 270 Milliarden Dollar Umsatz bis 2025. Sofern sie umdenken: „Wir wollen radikal andere Wege beschreiten, um die Kosten zu senken“, sagt Erich Auer, Technikchef beim Satellitenfertiger Tesat-Spacecom in Backnang bei Stuttgart.
Die Baden-Württemberger sind Weltmarkführer bei Signalverstärkern. Für die neuen Megakonstellationen haben Technikchef Auer und sein Team ihr Erfolgsprodukt quasi noch einmal entwickelt: Sie nutzen neue Halbleiter, kaufen erprobte Geräte aus der Autobranche, senken die Zahl der Bauteile. Und eine neue Technik, bei der zwei Laserstrahlen aus bis zu 40.000 Kilometer Distanz aufeinandertreffen, sendet blitzschnell Daten durchs All. „Das ist“, sagt Auer, „als würden Sie von Stuttgart aus einen Ball in einer Torwand in Berlin versenken.“
3. Das Raumschiff Orion
Linienflug ins Weltall
Fast zentimetergenau landet die Falcon-9-Rakete von SpaceX auf einer schwimmenden Plattform im Atlantik. Nach Prüfung im Hangar wird sie erneut ins Weltall starten. Die wiederverwendbaren Geschosse sollen Flüge ins All so billig machen, dass bald tausende Menschen sich einen Trip zum Mars leisten können.
An einem Dezemberabend im Jahr 2014 steht Oliver Juckenhöfel auf einem Balkon am Weltraumbahnhof Cape Canaveral und zählt den Countdown mit. Der Manager von Airbus DS beobachtet den Erstflug von Orion, dem neuen Raumschiff der Nasa. Die Amerikaner wollen wieder selbst Astronauten ins All befördern. Juckenhöfel will den Antrieb bauen.
Mehr als einen Kilometer entfernt erstrahlt im Scheinwerferlicht die Delta-IV-Rakete, fast so groß wie die Freiheitsstatue. Dampf steigt auf, Juckenhöfel spürt, wie der Boden vibriert. Kerzengerade steigt die Rakete in den Himmel. Dann dreht sich ein Nasa-Manager zu Juckenhöfel um. „Beim nächsten Mal“, sagt er, „seid Ihr mit an Bord.“
Drei Jahre später, im Frühjahr 2017, schrauben im Bremer Werk von Airbus DS Ingenieure in Kitteln und Haarnetzen an einem vier Meter breiten Raummodul. Airbus DS hat tatsächlich den Zuschlag bekommen, baut den Antrieb für zwei Orion-Fähren. Die Ingenieure puzzeln ihn aus fast 25.000 Einzelteilen zusammen, verlegen mehrere Kilometer Kabel. 15 Tanks versorgen die Triebwerke mit Treibstoff und die vierköpfige Crew mit Wasser, Sauerstoff und Strom. 590 Millionen Euro ist der Auftrag wert. Aber Juckenhöfel und sein Team motiviert etwas anderes: „Wir sind dabei, wenn erstmals seit Jahrzehnten wieder Astronauten tief ins All fliegen“, sagt er, „dorthin, wo der Mensch noch nie gewesen ist.“
Auch in der bemannten Raumfahrt drückt die private Konkurrenz aufs Tempo. SpaceX-Gründer Musk hat angekündigt, 2018 Menschen um den Mond herum zu fliegen, 2025 zum Mars. Der Hotel-Tycoon Robert Bigelow testet eine private Raumstation, derzeit angedockt an der ISS. Ähnliche Pläne hat das Start-up Axiom Space.
Die Nasa macht darum Druck: Statt 2021 will sie schon 2019 mit der Orion-Kapsel Astronauten auf die Mondrundreise schicken. Die Amerikaner lassen auch Konzepte für Nachfolger der ISS entwickeln, die nicht in 400 Kilometer Höhe, sondern in Mondnähe um die Erde kreist. Airbus DS ist an der Konzeption beteiligt, der deutsche Astronaut Alexander Gerst kann es kaum erwarten: „Dabei zu sein, wenn es weiter geht zum Mond, ist ein riesiger Traum für mich.“ Auch Start-ups freuen sich auf die neuen Vorposten im All. Sie haben dort schon ganz konkrete Pläne.
Galaktische Geschäfte
Die wichtigsten Gewerbe im All
Kreis1
Kommunikation
Satelliten liefern Telefon-, Internet-, Fernsehsignale. 
Anbieter: Intelsat, Eutelsat (Old Space); OneWeb (NewSpace). Umsatz 2016: 125,6 Mrd. Dollar
Kreis2
Erdbeobachtung
Mehr als 300 Satelliten erfassen Pflanzenwachstum, Wellen oder Schiffsbewegungen. 
Anbieter: Digital Globe, Planet, Spire. Umsatz 2016: 1,8 Mrd. Dollar
Kreis3
Trägerraketen
90 Raketen starten pro Jahr, 2020 schon doppelt so viele. 
Anbieter: Arianespace, ULA, Orbital ATK (Old Space); SpaceX, Blue Origin, Rocket Lab (NewSpace). Umsatz 2016: ca. 15 Mrd. Dollar
Kreis4
Raumfahrzeuge
Bis 2024 stehen 80 Flüge an, vor allem zur Internationalen Raumstation. 
Anbieter: Roscosmos, SpaceX, Boeing, Orbital ATK. Nasa-Budget 2016: 2,85 Mrd. Dollar
Kreis5
Navigation
Satelliten führen Autofahrer oder Drohnen zum Ziel.
Anbieter: USA (GPS), Russland (Glonass), EU (Galileo), China (Beidou). Umsatz 2015: 78,1 Mrd. Dollar
Kreis6
Weltraumtourismus
2018 fliegt Blue Origin an den Rand des Alls, SpaceX rund um den Mond.
Anbieter: Blue Origin, Virgin Galactic, SpaceX. Umsatz: ab 250.000 Dollar/Passagier
4. Die Fabrik im Himmel
Im Herbst 2016 steigt Andrew Rush am Flughafen Houston in einen Passagierjet. Die Piloten steuern den Flieger steil in den Himmel – und wie einen Pfeil wieder hinab. Parabelflug heißt das Manöver, bei dem Pilot und Passagiere für mehr als 20 Sekunden ihr Gewicht verlieren. Rush, Chef des Start-ups Made in Space, will dabei etwas herausfinden: Funktioniert ein 3-D-Drucker in der Schwerelosigkeit?
Bei Parabel eins fürchtet Rush, dass ihm speiübel wird. Bei Parabel zehn schwebt er umher wie ein Ballon, während seine Kollegen, die Füße in Schlaufen am Boden gebunden, geschmolzenes Plastik und Metall durch den Drucker schleusen. Bei Parabel 40 ist Rush sicher, dass sein Plan aufgeht: „Wir bauen Fabriken im All.“
Im Sommer schickt Made in Space eine Maschine, groß wie eine Mikrowelle, auf die Raumstation ISS. Sie soll aus erhitztem Material ein Glasfaserkabel schmieden, dünner als ein menschliches Haar. In der Schwerelosigkeit, sagt Rush, lasse sich das Kabel ohne Materialfehler herstellen. Es könne darum bis zu 100-mal mehr Daten übertragen als auf der Erde gefertigte Kabel.
Betreibern von Datenzentren und Transatlantik-Leitungen, hofft Rush, werde das viele Millionen Dollar wert sein. Made in Space will Tausende Kilometer Kabel im All herstellen und sie, aufgerollt auf einer Spule, per Raumschiff zurück zur Erde bringen. Andere Produkte könnten folgen. Auch Antennen für Satelliten wollen die Kalifornier im All bauen, um Transportkosten zu sparen. Sogar Solarsatelliten ließen sich drucken, die Strom per Funk zu Empfangsstationen auf der Erde beamen. Und eines Tages, glauben Forscher, werden Habitate im All gefertigt, Herbergen für Hunderte Menschen. Dazu müssen nur die riesigen Schätze des Weltalls geborgen werden.
5. Das Dorf auf dem Mond
Ein neuer Kontinent
So könnte es aussehen, das erste Haus auf dem Mond, wie es sich die Europäische Weltraumorganisation Esa vorstellt. In Laboren auf der Erde arbeiten Forscher schon an 3-D-Druckern, die aus Mondsand eine Basis hochziehen können.
In den Laboren des Bremer Raumfahrtunternehmens OHB beschäftigen Forscher eine winzige Bergbautruppe: Bakterien, die Steine fressen. Eines Tages sollen sie Gestein vom Mars oder eines Asteroiden zerlegen – in Sauerstoff, Wasserstoff, Metalle. Damit könnten Astronauten versorgt, Treibstoffe produziert, Raketen gebaut werden.
Gerade hat OHB in Luxemburg ein eigenes Start-up gegründet, Blue Horizon, das die Technik des Biominings weiter entwickeln soll. Luxemburg will Vorreiter im Asteroidenbergbau werden und investiert aktiv in Start-ups. „Wenn wir tief ins Sonnensystem vordringen wollen“, sagt Blue-Horizon-Geschäftsführer Jochen Harms, „müssen wir uns das nötige Material aus dem Weltall beschaffen.“ In ein paar Jahren soll ein Testgerät zum Mond fliegen.
Ähnliche Pläne haben Start-ups wie Shackleton Energy, Deep Space Industries und Planetary Resources. Um 2025 will Planetary Resources erste Weltraumminen auf Asteroiden errichten und Tankstellen im All bauen. „Das wird neue Geschäftsideen im All ermöglichen“, sagt CEO Chris Lewicki, „neue Orte zum Leben, neue Jobs.“ Etwa ein Dorf auf dem Mond, wie es der Esa vorschwebt. Robert Böhme, der Mondfahrer aus Berlin, kann der Idee viel abgewinnen, nicht nur, weil er Lieferant sein will. „Der Mond ist ein ideales Sprungbrett ins All“, sagt Böhme. Denn vom Mond aus, bei geringer Schwerkraft, starten Raketen leichter hinaus zum Mars.
Natürlich ist ein Monddorf Elon Musk zu klein gedacht; er will eine Marsstadt gründen, um die Menschheit vor dem Untergang zu retten. Dazu baut er die größte Rakete aller Zeiten, die 100 Passagiere zum Nachbarplaneten befördern soll. Und eines Tages noch weiter, zum Saturnmond Titan etwa, wo es Seen aus Methan gibt, oder zum Eismond Enceladus, in dessen Ozean Lebewesen vermutet werden. Bis dahin werden Träume platzen, Raketen explodieren, Raumschiffe zerschellen und Astronauten sterben – per aspera ad astra, durch Mühen zu den Sternen. „Wir Menschen sind Entdecker“, so sagt es Astronaut Alexander Gerst: „Sonst würden wir nicht überleben.“
Story: Andreas Menn
Produktion: Thomas Stölzel
Fotos: Dominik Butzmann, ESA, Spire, PR
Grafik: Dmitri Broido
Video: Trendspurt, Anna Hönscheid
Produziert mit Storyflow

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