Diese Pioniere prägten die deutsche Wirtschaftsgeschichte der beiden zurückliegenden Jahrhunderte. Sie legten die Grundsteine für Weltkonzerne, die soziale Marktwirtschaft und den Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland. Sie glänzen durch Eigenschaften, von denen wir noch heute vieles lernen können.
Steh zu deiner Meinung
Friedrich List
Sei ein Schlitzohr, dann bist Du erfolgreicher
Ernst-Wilhelm Arnoldi
Nicht fragen – machen!
Bertha Benz
Hinterfrage die herrschenden Verhältnisse
Karl Marx und Friedrich Engels
Think Big!
Alfred Krupp
Umarme, wen Du nicht besiegen kannst
Carl Ferdinand von Stumm-Halberg
Kontrolle ist besser
Carl Isambert
Vernetze die Welt
Siemens-Brüder
Der Feind meines Feindes ist…mein Freund
Hugo Stinnes und Carl Legien
Konkurrenz beflügelt
Fritz Haber
Lass Dich von Deinen Werten leiten
Berthold Beitz
Besser gut kopiert, als schlecht nachgemacht
Edward Tenenbaum
Locker bleiben
Hermann Josef Abs.
Vergiss Strukturen. Um jeden Preis
Aldi
Die Kraft der Kooperation
Ludwig Bölkow
Entdecke die Welt
Martin Herrenknecht
Augen zu und durch
Birgit Breuel
Das Buch
Welche Ereignisse der deutschen Wirtschaftsgeschichte legten die Grundsteine dafür, dass Deutschland heute eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt ist? Welche Personen waren dafür verantwortlich? »Made in Germany« verrät Ihnen in 20 packenden Reportagen, wie wir wurden, was wir sind.
Massimo Bognanni, Massimo Bognanni, geboren 1984, ist Reporter beim Handelsblatt. Vom Investigativ-Team aus beleuchtet er die düsteren Ecken der Wirtschaftswelt. Sein Spezialgebiet: Wirtschaftskriminalität. Für seine Enthüllungen und Reportagen wurde er mit mehreren Auszeichnungen geehrt, unter anderem dem Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik (2016), dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten und dem Heinrich-Heine-Journalismuspreis (beide 2015).
Sven Prange, geboren 1982, ist Mitglied der Chefredaktion und Textchef der WirtschaftsWoche. Für ihre Reportagen wurden die beiden Journalisten mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, u.a. dem Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik.
Steh zu deiner Meinung.
Friedrich List
Die Sondermission ist heikel. Friedrich List, der junge Rechnungsrat, wird im April 1817 entsandt, Auswanderungswillige zu befragen. Denn König Wilhelm I. läuft das Volk davon. Seit Januar 1816 haben 19.000 Menschen die Ausreise beantragt. Pächter, Bauern, Handwerker – sie alle wollen das kleine Königreich Württemberg verlassen. Grund waren die Ernteausfälle, die große Teuerung. Brot kostete ein Vermögen. In der ersten Meinungsbefragung der Menschheitsgeschichte befragte List zahlreiche Bürger – und las dem Machthaber die Leviten. Er prangert die "mangelhaften Institutionen des Staates an". Korruption, Armut, Arbeitslosigkeit. Als Medizin schlägt er vor, die Macht der Feudalherren zu beschneiden. Und er geht noch weiter. Der Mangel an Freiheit sei das Grundübel. Die Schranken der 39 Einzelstaaten, die Händlern auf deutschem Grund das Leben erschweren, sollen fallen. List wird zum Vordenker der 1834 geschaffenen Deutschen Zollunion.
Sei klug, dann bist Du erfolgreich. Sei ein Schlitzohr, dann bist Du erfolgreicher.
Ernst Wilhelm Arnoldi.
Ernst Wilhelm Arnoldi gründet im Jahr 1827 die erste Lebensversicherung in Deutschland und legt damit den Grundstein für ein Geldanlageprodukt, wie es deutscher kaum sein könnte. Das Prinzip der Versicherung gibt es dabei schon länger. In so genannten Vereinen auf Gegenseitigkeit regeln Menschen, bei Feuer-, Ernte- oder anderen Schäden für einander finanziell einzustehen. Arnoldi ist klar: Diese vergleichsweise kleinen Vereine reichen nicht mehr, um die größer werdenden Risiken des modernen Lebens abzudecken. Also will er eine reichsweite Versicherung gründen. Er weiß: Die Menschen vertrauen ihm nur, wenn ihm auch möglichst viele andere vertrauen. Also wendet er einen Trick an: Die erste Police, die er verkaufen will, beziffert er mit der Nummer 101. Die Menschen denken, bereits 100 Policen seien gezeichnet – und fassen Vertrauen.
Ihr Mann Carl hatte eine geniale Erfindung in der Garage stehen, da war sich Bertha Benz sicher. Doch der Gatte wagte es nicht, sein Automobil im großen Stil zu testen. Noch sei es nicht fertig. Am 5. August 1888 sah sich Bertha das Zögern und Zaudern nicht länger an. In den frühen Morgenstunden schlich sie mit ihren Söhnen Eugen und Richard in die Garage, entführte das Gefährt – und vollbrachte waghalsig die erste Fernfahrt der Welt. Als Carl nach dem Aufwachen nur einen Zettel vorfand, kochte er vor Wut. „Sind zu Großmutter gefahren“, stand da. Bis nach Pforzheim waren es immerhin 106 Kilometer. Berthas Mut, ihr Anpacken, ohne große Absprachen und lange Debatten, verhalf der Erfindung ihres Mannes zum Durchbruch.
In einem Pariser Cafe lernen sich im Sommer 1844 ein deutscher Industriellensohn und ein deutscher Philosoph kennen; der eine Vertrieben aus der Heimat ob seiner Kritik an den Obrigkeiten, der andere auf der Rückreise von einer Unternehmerreise durch Nordengland. Karl Marx und Friedrich Engels laufen sich eher zufällig über den Weg – und finden dennoch zielstrebig zueinander. So beginnt in diese Sommer eine Liason, die für eine europäische Ideengeschichte der Neuzeit einmalig wird. Das Paris dieser Zeit ist eine Oase der Freiheit in einem Europa des Absolutiosmus. Die radikalsten Ideen des Kontinents geistern hier durch die Cafes, Intelektuelle, Handwerker, Publizisten kommen hier zusammen, um die bestehenden Verhältnisse zu ändern. Engel, der Industriellensohn voller Kritik an den Zuständen in den jungen Industrien, und Marx, der vertriebe Journalist aus dem Rheinland, beschließen, sich hier zusammenzutun. Mit radikalen Schriften und geschickter Bündnispolitik mausern sich die beiden zu Wortführern der Szene – und beginnen so, getragen von Engels Geld, immer wieder vertrieben von den Mächtigen, ihren Streifzug durch Europas Geschichte.
Alfred Krupp folgte einem Dreiklang: „Anfangen im Kleinen, Ausharren in Schwierigkeiten, Streben zum Großen.“ Als 1851 die erste Weltausstellung der Menschheitsgeschichte in London ihre Tore öffnete, plante er den letzten Schritt. Der 39-jährige war bis dato ein unbekannter Stahlgießer. Doch seine Mannen in Essen arbeiteten seit Monaten heimlich an einem riesigen Gussstahlblock, über zwei Meter hoch, fast zwei Tonnen schwer. Eine Funktion hat er nicht. Doch auf der Ausstellung wurde das „Monsterpiece“ allenthalben bewundert. „Selbst die Königin von England und Don Miguel von Portugal ergötzen sich an der Krämerbude“, vermeldet Krupp vergnügt seiner Belegschaft in Essen. Der deutsche Fabrikant Friedrich Harkort sagte ergriffen: „Das kann kein Engländer nachmachen. Dieses Ding da wird einer der merkwürdigsten Denksteine in der Geschichte der industriellen Entwicklung Deutschlands werden.“ Am Ende der Weltausstellung erhält Krupp eine der begehrten Medaillen . Von den 17 000 Ausstellern werden lediglich 170 mit dem ersten Preis geehrt. Die Medaille krönt Krupps Werbe-Coup. Die Londoner Ausstellungsmedaille lässt er auf jeder Rechnung, auf jedem Brief abdrucken. Zahlreiche Kontakte zu Fabrikanten knüpft er, fädelt Geschäfte ein. Plötzlich ist das Interesse an den anderen Erzeugnissen groß.
Als der Saar-Industrielle Carl Ferdinand von Stumm-Halberg am 14. Oktober 1867 im norddeutschen Reichstag vorschlägt, künftig die Arbeitgeber an den Sozialabsicherungen der Arbeiter zu beteiligen, erschreckt er seine Zeitgenossen und handelt doch aus reinem Eigennutz. In der Saar-Industrie werden in diesen Tage die Arbeiter aufmüpfig und lassen sich den bis dahin üblichen Tausch Lohntüte gegen all ihre Rechte nicht mehr gefallen. Sie wollen bessere Arbeitsbedingungen und für den persönlichen Notfall besser abgesichert sein. Stumm ahnt, anders als viele andere Industrielle zu der Zeit: Nur mit Repression wird er diese neuen Rufe der Arbeiterschaft nicht zum schweigen bringen. Also beginnt er eine Idee für die gesamte Industrie voranzutreiben, die in einzelnen Hütten-Regionen schon länger existiert: die Knappschaft. Arbeitgeber und Arbeiter, verkürzt gesagt, zahlen dort gemeinsam ein, um Risiken wie Krankheit oder Alter für die Arbeiter abzudecken. Der Befriedungsversuch gelingt einerseits nach jahrelangen Debatten, Halbergs eigentliches Ziel aber, mit dem Eingehen auf einzelne Forderungen die Gewerkschaftsbewegung auszuschalten, scheitert. Aber es ist der Grundstein gelegt für die deutsche, weltweit einmalige, Partnerschaft aus Arbeitgebern und Arbeitern.
Schwarzwald im Jahr 1868. Nichts Geringeres als das Sterben zu beenden, das ist Carl Isamberts Auftrag. Mit 29 Jahren wird er der erste Prüfer eines Technischen Überwachungsvereins (TÜVs) und bringt die Dampfkessel unter Kontrolle.
Drei Jahre vor seinem Dienstantritt, an einem Samstag im Januar 1865, spielte sich die Tragödie ab, die alles verändern sollte. Mannheim, der Große Mayerhof. Ein prächtiges Kunstwerk der industriellen Revolution, ausgestattet mit zwei riesigen Dampfkesseln, die Energie für die Bierbrauerei lieferten. Unbemerkt von den Brauern hatte sich ein verhängnisvoller Riss durch die Hülle des Kessels gezogen. Ein dumpfer Knall ließ die Bewohner hochschrecken, durch die Druckwelle barsten Türen, Fenster zerklirrten in tausend Scherben. Ein Arbeiter war sofort tot, mehrere wurden verletzt von dannen getragen. Unfälle wie diese bestimmen allenthalben die Schlagzeilen.
Die Unfälle sollten endlich ein Ende haben. Unternehmer schließen sich zusammen, gründen den Verein. Nach mehreren Monaten der Inspektion zieht Isambert seine erste Bilanz: „Einzelne Kesselbesitzer erwarteten mich sogar mit Ungeduld wie ein Kranker sich nach dem Arzte sehnt und erbaten sich meine Absichten über Dies und Jenes“, führt Isambert aus. Isambert ist sich sicher, die freiwillige Überwachung werde eine große Ausdehnung erfahren. „Es wird an anderen Orten Deutschlands Vereine nach dem Vorbilde des unsrigen entstehen, was den Gründern der Mannheimer Gesellschaft zu Ehre gereichen wird.“
Der Siemens-Brüder wagten 1874 ein Abenteuer, mit dem sie ihren Ruf, die Ehre und ein beträchtliches Vermögen aufs Spiel setzen. Das Trio wollte Europa und Amerika mit einem Telegrafenkabel verbinden. Dank der Technik, sausten Informationen in nur wenigen Stunden über den großen Teich, die sonst Wochen brauchten. Es schien, als durchziehe Nervensystem aus Elektrokabeln die ganze Welt.
Der Kabelpionier John Pender beherrschte den Markt. Das erste, 16 Jahre zuvor gelegte Transatlantikkabel stand unter seiner Fuchtel. Dank seines Monopols drückt er Wucherpreise durch. 20 Wörter von Europa über den Ozean kosten stolze 100 Dollar – ein Industriearbeiter musste für diese Summe mehrere Wochen arbeiten.
Die Siemens-Brüder wollten das Monopol durchbrechen. Für die Amerika-Mission konstruierte und baute William Siemens, der begnadete Ingenieur, ein Spezialschiff. Die Mission begann im August 1874. Sie war lebensgefährlich. Immer wieder verloren sie das Kabel, Stürme beschädigten das Schiff. Am 5. September stand die Verbindung zwischen Europa und Amerika. Sie war von erstklassiger Qualität. Mit dem „deutschen“ Kabel ließen sich 19 Wörter in der Minute schicken. Am 15. September veranstalten Börsenmakler in London und New York ein kleines Wettrennen. Gleichzeitig schicken sie Nachrichten über das Siemens- und das Pender-Kabel. Das Siemens-Kabel übermittelten die Depeschen eine Stunde schneller. Und es war nicht nur schneller, es war auch noch 25 Prozent billiger, als die Konkurrenz.
Die Herren, die gegen Ende des ersten Weltkrieges mehrfach in Berlin zusammekommen, sind sich nicht besonders vertraut. Zwischen Gewerkschaftsfunktionären und Industrievertretern ist es in der Spätphase des Kaiserreichs nicht üblich, vertraut zusammen zu sitzen. Nun aber hat man gemeinsame Interessen: Das Ende des ersten Weltkrieges zeichnet sich ab und damit eine deutliche Reduzierung der staatlichen Ausgaben für die Rüstungswirtschaft. Die Industriellen bangen um ihre Einnahmen, die Gewerkschaften um die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder in der Kriegs-Industrie. Beim Kaiser und seinen Regierenden aber, die mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben, findet man kaum Verständnis. Also intiieren der Ruhr-Industrielle Hugo Stinnes und der Gewerkschaftsführer Carl Legien einen Berliner Gesprächskreis. Hier treffen Männer beider Seiten aufeinander, die sich bis dato nicht viel zu sagen hatten, plötzlich aber ihre gemeinsamen Interessen entdecken. Gemeinsam will man sich bei der Regierung dafür stark machen, für einen Ausgleich für die gebeutelte Kriegsindustrie zu sorgen. Gleichzeitig bringen Legiens Mannen einige alte Arbeiterforderungen nach kürzeren Arbeitszeiten und besseren Arbeitsbedignungen mit in die Verhandlungen. Der Plan geht auf – Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen das Stinnes-Legien-Abkommen, demzufolge beide Seiten mit vereinten Forderungen an die Politik gehen. Auch wenn das Abkommen in den Weimarer Wirren schnell scheitert, legen sie damit doch den Grundstein für die Idee der deutschen Tarifautonomie.
Der Chemiker Fritz Haber machte 1907 wiederum die Erfahrung, wie Konkurrenz beflügeln kann. Seine Forschung, Ammoniak künstlich zu gewinnen hatte er eigentlich längst abgeblasen. Das Verfahren sei hoffnungslos. Dabei könnte die Ammoniaksynthese die größte Bedrohung der Menschheit lösen: das Nahrungsproblem. Denn in Ammoniak, diesem beißend stinkenden Gas, war neben Wasserstoff auch Stickstoff enthalten. Und Stickstoff war ein herrliches Düngemittel.
Längst waren seine Forschungen dazu in der Schublade verschwunden. Zu aufwendig sei die künstliche Synthese. Doch am 12. Mai 1907 änderte sich seine Meinung schlagartig. In aller Öffentlichkeit stellte sich Walther Nernst, ebenfalls Chemiker, hin und kritisierte wie ein Schulmeister Habers „stark unrichtige Zahlen“.
Seit der Schmach war Haber wie besessen, Nernst aufzuzeigen, wessen Können das Überlegene ist. Am 2. Juli 1909 gelang ihm das bislang Unmögliche. Die Apparatur lief bei 600 bis 900 Grad Celsius, der Druck betrug 185 Atmosphären. Im Inneren wirkten 98 Gramm des Edelmetalls Osmium als Katalysator. „Es tröpfelt!“ rief Haber. Sie hatten Ammoniak gewonnen. Die erste Großanlage errichtete BASF 1912 in Oppau, im September 1913 ging das Werk in Betrieb, produzierte täglich 30 Tonnen Ammoniak. 1918 erhielt Haber den Nobelpreis für Chemie. Zwei Jahre, bevor Nernst den Preis erhielt.
Als Berthold Beitz Anfang der 40er Jahre als Geschäftsführer der Karpathen-Öl in die von Nazi-Deutschland besetzten Gebiete entsandt wird, ist das moralische Fundament der deutschen Wirtschaft längst zerbröckelt. Die Spitzen aus Unternehmens- und Verbändewelt haben nicht nur in unrühmlichen Hinterzimmerrunden Adolf Hitlers Weg an die Macht geebnet, sie haben sich auch nahezu flächedeckend den neuen Herrschern zu Diensten gestellt. Willfährige Helfershelfer der Nazi-Diktatur prägen das Bild in der Industrie wie in den Familienunternehmen. Wirtschaftsgrößen wie Ferry Porsche, Herbert Quandt oder Alfried Krupp werden zu gewissenlosen Vasallen der Mächtigen. Vorauseilender Gehorsam dem Führer gegenüber ist des Managers erste Tugend in dieser Zeit. Ausnahmen? Gibt es kaum. Eine ist ausgerechnet der junge Berthold Beitz. Er meidet vor Ort nicht nur den Kontakt zu den Nazi-Größen, immer wieder stellt Beitz sich ihnen entgegen und rettet so Dutzenden jüdischen Mitbürgern das Leben. In den Augen seiner Zeitgenossen bleibt Beitz so auf Jahre Außenseiter. Im Rückblick blieb er durch seinen offenen Widerstand vor allem eins: Mensch.
Als gar nichts mehr geht, schreibt Hermann Josef Abs ein kleines Gedicht. London im Frühjahr 1952. Der deutsche Wirtschaftslenker Abs hat eine undankbare Aufgabe. Als Leiter der deutschen Delegation soll er über einen Erlass von Kriegsschulden für die Deutschen verhandeln, die so viel Unheil über Europa gebracht hatten. Die Fronten sind verhärtet. Angesichts der Gräueltaten der Nazis soll Deutschland büßen. Abs argumentiert, dass Deutschland durch den Zweiten Weltkrieg große Gebiete eingebüßt hatte, keine Wirtschaftsmacht mehr sei. In seiner Verzweiflung reimt Abs einen Limerick: „There was a man called Abs, he believed as it were in maps, but as much as he pleaded, he never succeeded, to prove that maps were no traps“ (Da war ein Mann namens Abs, der glaubte an das, was Landkarten zeigten – doch so sehr er sich auch mühte, es gelang ihm nicht zu beweisen, dass die Karten keine Fallen waren). Der Deutsche überrascht seine Widersacher mit einer gar undeutschen Tugend: Humor. Er bricht damit das Eis. Am 8. August 1953, zwei Jahre nach den ersten Vorgesprächen, einigt man sich schließlich. Ein Kompromiss. Deutschland verpflichtet sich, insgesamt 14,5 Milliarden D-Mark zu zahlen. Die internationale Kreditfähigkeit ist wiederhergestellt.
Anfang der 1960er Jahre ist die Welt der Einzelhändler in Aufruhr. In den USA haben sich Supermärkte etabliert, die nahezu ohne Verkaufspersonal auskommen, eine unglaubliche Vielfalt bieten und doch gnadenlos günstig sind. Billig um jeden Preis wird zum Trend, der die vielen inhabergeführten Lebensmittelhändler in Deutschland wie aus der Zeit gefallen wirken lässt. Solche Händler sind auch die Essener Brüder Karl und Theo Albrecht. 1954 haben sie den elterlichen Laden übernommen. Sie haben einige weitere hinzugekauft, sind gewachsen, bieten als Antwort auf die Herausforderungen, die aus Amerika hinüberschwappen, auch schon Selbstbedienungsläden an. Aber die Brüder merken: so lässt sich vielleicht wirtschaftlich überleben, eine attraktive Perspektive entsteht durch diese sachte Fortentwicklung der Geschäfte ihrer Eltern nicht. Also beschließen sie zu Beginn des Jahres 1961 alles anders zu machen. Richtig anders. Und so teilen sie ihr Unternehmen in zwei und sie entwickeln das Discount-Prinzip. Der Kern: Service, Komfort und Angebot werden auf ein Minimum reduziert, anstatt – wie seinerzeit im Handel üblich – ausgebaut. Zulieferer sollen fortan so ausgequetscht werden, dass auch hochwertige Ware zu billigen Preisen verkauft werden kann. Und: man will keine Markenware mehr, das macht die Zulieferer austauschbarer. So wollen die Albrechts, die Händler, das Maß aller Dinge für ihre Kunden werden. Das alles mag nicht smypathisch klingen – kommt aber an: Die Albrechts schaffen, was sie bei Beibehaltung der üblichen Handelsregeln wohl nie geschafft hätten: einen weltweiten Erfolg.
In den 1960er Jahren boomt die Luftfahrt. Doch Europas Branche ist so zersplittert, dass im Flugzeugbau US-Konzerne dominieren. Da beschließen ein gewisser Ludwig Bölkow und ein Bernahrdt Weinhardt auf der Pariser Luftfahrtmesse 1965: Wenn wir alleine die Amerikaner nicht schlagen können, müssen wir uns mit so vielen Konkurrenten verbünden, bis wir groß genug sind, um mitzuhalten. Also sucht man das Gespräch mit Vertretern der französischen Industrie. Und siehe da: Jenseits des Rheins sieht man die Lage ähnlich. Allen Beteiligten ist klar, das zwei Dinge passieren müssen, wenn Europa mit den USA mithalten will: der Staat muss helfen und die Unternehmen der Branche müssen sich zusammentun. Dafür müssen viele Skeptiker überzeugt worden, allen voran die lebende Legende der deutschen Luftfahrtindustrie, Willy Messerschmitt. Es ist am Ende die Macht das ökomomisch Faktischen, die zur Einsicht zwingt: Kein Europäer ist allein in der Lage, eins der modernen großen Passagierflugzeuge zu entwickeln. Und so finden die Unternehmer den Weg eines Gemeinschaftsunternehmens: Jeder bringt Geld und Kompetenzen in einen zunächst losen Zusammenschluss ein. Und wie das so ist, wenn einmal die erste Scheu überwunden ist: nach begonnener Zusammenarbeit fallen viele Mauern des Widerstands – und so dauert es am Ende fünf Jahre, bis das erste Ergebnis dieses Willens zur Kooperation sichtbar wird: Im August 1970 rollt der erste europäische Passagierflieger auf eine Startbahn. Airbus ist geboren.
Ender der 1970er Jahre ist der deutsche Mittelstand noch sehr provinziell. Erst langsam beginnt die Globalisierung. Martin Herrenknecht ist zudem ein typisch badischer Mittelständler. Er hat eine Technik entwickelt, mit der sich Tunnelbohrer bezahlbar und wirkungsmächtig bauen lassen. Ein Gerät, das einerseits das Bauen von Tunneln oder Leitungsschächten so einfach macht wie nie zuvor. Ein Gerät aber auch, dass sich an eine sehr spitze Zielgruppe richtet. Hat man einmal einen Tunnel gegraben als Bundesland oder Region braucht man in der Regel nicht noch schnell einen zweiten oder dritten. Also ahnt Herrenknecht: Der deutsche Markt ist für derlei Spezialgerät zu klein. Also muss er, will er, raus in die Welt. „Wo der Zirkus gut läuft“, sagt Herrenknecht, „musst Du Dein Zelt aufstellen. Wenn er dann irgendwann schlechter läuft, must Du es auch wieder abbauen.“ Und woanders aufstellen. Und Herrenknecht baut fleißig Zelte auf, und manchmal auch wieder ab. Zu einer Zeit, als seine Unternehmerkollegen vor Ort kam über den Schwarzwald hinauskommen, sind seine Bohrer schon in der Schweiz und Luxemburg unterwegs. „Wie ein Exot“ fühlt er sich. Doch Herrenknecht denkt groß, lässt sich nicht beeindrucken von der Skepsis der Kollegen, eröffnet Büros gar in den USA und später dann in China. Heute macht Herrenknecht in manchen Jahren mehr als 90 Prozent seines Umsatzes im Ausland und wurde Vorbild für viele Mittelständler, die mit Ideen aus Deutschland die Welt eroberten.
Als Birgit Breuel die Treuhand übernimmt, ist die Privatisierungsbehörde für die DDR-Wirtschaft kaum noch zu retten. Breuels Vorgänger Karsten Detlev Rohwedder wurde von der RAF ermordet, die Behörde gilt in Westdeutschland als bürokratisches Monster, in Ostdeutschland als marktgläubige Eroberungsinstitution eines westlichen Raubtierkapitalismus. Und Breuel? Gibt sich, anders als zu ihrer Zeit als CDU-Wirtschaftspolitikerin, pragmatisch. Ihren Beamten sagt sie: Sie wolle den Auftrag der Treuhand so schnell wie möglich abwickeln. Nach außen aber gibt sie sich versöhnlicher. Als direkt zu ihrer Amtszeit eine Berliner Schauspielerin zur Rettung eines Kali-Werks in Hungerstreikt tritt, schreibt Breuel einen Brief: „Wir lernen. Wir machen Fehler. Wir sind Menschen wie Sie.“ In der Sache aber bleibt sie hart: Privatisierung, predigt Breuel, ist immer noch die beste Sanierung. Hartnäckig kämpft sie gegen alle, die nach einem Mittelweg suchen, die erst sanieren und dann privatisieren. Zumindest effektiv war das: Als die Treuhand Ende 1994 ihre Arbeit einstellte, hatte sie 15102 Betriebe privatisiert, 3700 Betriebe abgewickelt – aber auch 250 Milliarden Mark Verlust gemacht.